Zwischenruf
Vor einigen Tagen erschien eine Umfrage, dass in Bremen die glücklichsten Menschen (nun gut, mit Ausnahme von Hamburg) wohnen. Heute nun eine weitere Umfrage: In kaum einer anderen Stadt ist das Armutsrisiko so groß wie in Bremen. Wie passt das zusammen?
Während in den Alten Bundesländern nur 13 Prozent der Menschen von Armut gefährdet sind, ist in Bremen (immerhin auch ein Altes Bundesland!) jeder fünfte Bürger betroffen. Im Gegensatz zu 2005 haben sich die Zahlen noch einmal um 1,2 Prozentpunkte verschlechtert (ansonsten ist nur Sachsen-Anhalt auf einem derartigen Negativ-Kurs).
Warum aber fühlen sich die Bremer dennoch glücklich? Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass die Gesellschaft der Hansestadt längst in zwei Gruppen zerfallen ist: In die Armen und jene, denen es gut geht. Dass die Solidargemeinschaft in dieser Stadt nicht mehr funktioniert. Dass die Bremer sich daran gewöhnt haben, die Augen vor Negativ-Schlagzeilen zu schließen, oder sie zumindest stoisch hinzunehmen.
Im letzten Wahlkampf waren weder die Schulpolitik noch die Armut in Bremen ein Thema - gestritten wurde über eine Autobahn. Die existenziellen Probleme des Stadtstaates werden politisch nicht angepackt. Immer neue Horrormeldungen scheinen nicht dazu zu führen, dass die Gesellschaft aufwacht, politischen Druck ausübt und anpackt, sondern dazu, dass sie sich das letzte Stückchen Glück nicht nehmen lassen will. Bremen gefällt sich in seiner Rolle als Nehmerland, als Schul-Schlusslicht und als Stadtstaat, dessen Armutspotenzial bedrohlich ist. Wir schaffen es, uns trotzdem gemütlich einzurichten. Kein Bürgerprotest nirgends. Die Sozialverantwortung gegenüber anderen scheint aufgehoben zu sein. So lange es dem Einzelnen einigermaßen gut geht, ist mit einem Bürgerprotest nicht zu rechnen - und auch nicht mit einer ernsthaften politischen Lösung. Solange alle glücklich sind, gibt es keinen Druck, soziale Missstände aufzuheben. Die Frage ist, welche Umfrage eigentlich der größere Skandal ist. Die Armuts-Umfrage oder die Glücksumfrage. Wie können sich Bürger in einem Land wohlfühlen, in dem die Armut bundesdeutsche Spitzenwerte erreicht? Wie können sie hinnehmen, dass keine der etablierten Parteien dieses Thema anpackt. Dass der Trend nicht nach oben, sondern nach unten zeigt?
Bremen ist arm. Und deshalb sollte Bremen nicht glücklich sein. Es sollte sich endlich herausgefordert fühlen, in andere Bundesländer schauen - und sich erst dann glücklich zurücklehnen, wenn die Missstände vor der eigenen Haustür behoben sind!
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