Viertelfest am Samstag Abend |
Ausschreitungen in Bremen
Das Viertelfest begann als große Feier. Am Freitag und Samstag kamen Tausende, um in der Stadt zu feiern. Vor der großen Bühne auf dem Sielwall tanzten Hunderte. Die Buden waren gut besucht. Doch gestern Nacht kam es zu Ausschreitungen und Krawallen, wie die Polizei meldete - es kam zu Festnahmen. In der Neustadt brannten sieben Autos. Ob es sich dabei um Nachahmer-Taten handelte, die auf die Ausschreitungen in Berlin Bezug nehmen, ist noch ungeklärt. Hier ein Kommentar über die aufgeheizte Stimmung von London, Berlin und Bremen.
Die bürgerliche Argumentation gegenüber brennenden Autos in Berlin und den Krawallen in London ist erschreckend schlicht. Man könnte sie so auf den Punkt bringen: Logisch, dass ein Mensch, der nicht mit Messer und Gabel essen kann, zum Brandstifter wird. Oder: Wer Autos ansteckt, hat schlichtweg kein Benehmen.Während bei den Randalen in den Pariser Banlieues vor zwei Jahren noch über die soziale Schieflage der Metropolen, Integrationsfehler und gesellschaftliche Verantwortung debattiert wurde, wird heute lieber mit dem Straßen-Knigge gewedelt. Das bürgerliche Lager will unter keinen Umständen als Gottfried Biedermann enden. Max Frischs Theaterfigur, der Hausbesitzer und Haarwasserfabrikant, war zu nett zu den Leuten, die sein Hab und Gut angezündet haben. Statt zaghaft und freundlich zu sein, hauen viele Medien und Politiker nun lieber auf die Moral-Pauke. Sie definieren die Grenzen des Benehmens und stellen sich auf die richtige Seite.
Dummerweise ist Benehmen keine Sache, auf die man mit dem Finger zeigt. Als in Charlottenburg Autos brannten, genossen viele Kulturbürger gerade die Sommer-Festspiele in Bayreuth und Salzburg. Dort haben sie in Sebastian Baumgartens Tannhäuser zur Kenntnis genommen, dass im Reich der archaischen Venus Kot anfällt, der auf der Wartburg in Gas verwandelt und das dann wieder zum Kochen und für die Zubereitung neuer, koterzeugender Nahrungsmittel verwendet wird. Zugegeben, auch das ist von erschreckender Einfalt. Aber es gehört irgendwie zum Verständnis dessen, was wir Gesellschaft nennen.
Einem proletarischen Journalisten ist noch etwas anderes aufgefallen: In unseren Theatern sind es schon lange nicht mehr die jungen Menschen, die den Kultur-Knigge vergessen, sondern die gutbürgerlichen Greise und die Nouveau Rich, die mit dem Bonbonpapier rascheln, während der Ouvertüre noch eine Mail absenden und in der Pause im Kommando-Ton bei der Festspiel-Bedienung einen Champagner bestellen.
Benehmen ist Produkt eines evolutionären Prozesses, in dem die Menschheit begriffen hat, dass es produktiver ist, einander in Respekt zu begegnen als in archaischen Ritualen. Das sollte wissen, wer darüber spricht. Wenn sich so etwas wie Moral nun auflöst, tut sie das nicht einseitig: prekäre Neuköllner Jugendliche zünden Autos an, bürgerliche Charlottenburger Jugendliche üben sich im Komasaufen. Sich nicht zu benehmen, ist in der Literatur oft eine Reaktion auf andere, die sich nicht benehmen. Hamlets Respektlosigkeit ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass sich der Hof von Helsingör längst von der Moral gesellschaftlicher Verantwortung entfernt hat.
Malteser beim Viertelfest |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen