Mittwoch, 7. September 2011

Musikfest im Wandel

Bilanz einer einst großen Idee
Will gern strahlen: Das Musikfest
Vor 23 Jahren tickte Bremen so: Wenn Helmut Kohl kam, brüllten Studenten in der Stadthalle "Mao-am! Mao-am!". Und Kultur fand in der sogenannten Szene statt: Blockflötenspiel auf Häkelliesen. Doch dann wurde das Musikfest gegründet. Bremer Firmen wie Eduscho sponserten Stargäste wie den Dirigenten Simon Rattle. Und die Szene bäumte sich ein letztes Mal auf: zur Eröffnung wurden der Bürgermeister und die Veranstalter mit Farbbeuteln beworfen.
Seither ist viel passiert. Der Strukturwandel hat um sich gegriffen: Einst grüßten die Beck's-Brauerei mit dem grünen Logo und das gigantische Lager des Kaffeerösters Eduscho die Gäste schon auf der Hochstraße. Kaffee- und Hefegeruch liegen zwar noch immer in der Luft. Aber die alten Firmenlogos sind abmontiert. Auf dem Beck's-Haus prangt der Schriftzug der Übernahmefirma InBev, auf dem Eduscho-Lager der Schriftzug von BLG Logistics. Beide Unternehmen waren Sponsoren des Musikfestes Bremen.

Erfunden wurde all das von Thomas Albert, Professor für Geige in Bremen. Ein Unternehmertyp. Ein Anpacker. Einer, der Sätze wie diesen sagt: "Die Kultur kann es schaffen, die Vision zu beleben, Menschen an Orte zu locken, die für viele Bremer noch immer Inbegriff der Krise sind."
Sein Musikfest hatte Glanzzeiten – vor fünf oder sechs Jahren kam das Who-is-Who der Klassik an die Weser. Und politisch lag Alberts Idee von der „Metropolregion“ voll im Trend, Konzerte, die nicht nur in Bremen, sondern auch in Verden, Oldenburg oder in kleinen Kirchen der Gegend stattfinden.
Doch inzwischen ist es enger geworden: Die Stadt hat finanzielle Mittel gestrichen, das Musikfest in diesem Jahr ist – was die Gäste betrifft – nur noch ein Schatten seiner selbst. Und ein bisschen hat Albert auch selbst Schuld.
Er hat es nie geschafft, die Veranstaltung von der „One-Man-Show“ auf eine andere Ebene zu heben. Er hat den Moment verpasst, Bremen wirklich das zu geben, was es braucht: ein professionelles Musikfest, das überregional strahlt und nicht nur überregionale Ensembles auf Welttour zur Rast einlädt.
Thomas Albert ist ein merkwürdiger Mensch. Auf der einen Seite braucht man einen wie ihn. Einen, der anapackt, der nicht wartet, der einfach loslegt. Auf der anderen Seite tut er seiner eigenen Veranstaltung nicht immer gut: Es wird ausschließlich sein Musikgeschmack repräsentiert, es gibt kaum Abwechslung – und jeder, der das Musikfest kritisiert, wird als Feind gesehen. Und so hat er es sich im Laufe der Zeit mit allerhand Leuten verdorben: Mit der Stadt, die seine Subventionen kürzte, mit Radio Bremen, das diesen Sommer eigentlich live vom Marktplatz berichten wollte, mit einigen Sponsoren – und ein bisschen auch mit dem Publikum, das sich immer öfter fragt, warum es stolze Preise für mittelmäßige Klassik ausgeben soll.
Albert war angetreten, Bremen mit dem Musikfest zu öffnen. Über den Tellerrand zu schauen. Die Engstirnigkeit der Stadt zu überwinden. Sein Mittel war die Kultur. Und das war eine geniale Idee.
Dummerweise brodelt das Musikfest heute selbst im eigenen Saft. Schafft es kaum noch, Impulse zu setzen, überregional zu wirken – und auch in der Stadt wird es immer belangloser.
Zur Finanzierung hat Albert unter anderem auf den Unternehmer Peter Lürssen gesetzt, weil er schon damals wusste: „Ein langfristiges Unternehmen wie das Musikfest kann sich nicht allein auf die Politik verlassen, die meist in Legislaturperioden denkt. In der Wirtschaft haben wir Partner, die ähnlich denken wie wir: sie kennen langfristige Strategien und stehen zu ihren Projekten - auch in der Krise", sagt Albert. Die traf das Musikfest schon nach vier Jahren. Damals haben Firmen ihre Zuschüsse erhöht und den Druck auf die Regierung erhöht, sich nicht zurückzuziehen.
Doch inzwischen hat die Stadt das Musikfest zum Teil fallenlassen. Und auch die Sponsoren sind halbherziger. Vor einige Jahren sagte EWE- Vorstandsvorsitzender Werner Brinker: "Wenn wir qualifizierte Arbeitskräfte locken wollen, müssen wir ein attraktives Umfeld schaffen. Die Strategie des Kultursponsorings wird in den USA längst erfolgreich genutzt."
Heute scheint das Musikfest teilweise zum Selbstzweck geworden zu sein: Sponsoren und Thomas Albert feiern hauptsächlich sich selbst. Die Auswirkung ihrer Veranstaltungen auf die Stadt sind fraglich. Das Alte Vorhaben, den Standortfaktor Bremen zu bereichern, ist nur teilweise gelungen.
Das Musikfest, das als Vision begonnen hat, ist nach über 20 Jahren selbst zum Teil der Stadt geworden – und hat ihre Engstirnigkeit, ihre Netzwerke, ihre Mentalität vom „im eigenen Saft kochen“ übernommen. Bremen ist nicht wie das Musikfest aus früheren Jahren geworden, sondern  das Musikfest aus früheren Jahren hat sich Bremen angepasst.
Die Besucher kommen noch immer. Demonstrieren tut schon lange keiner mehr. Aber den alten Event-Charakter hat die Musikveranstaltung nicht mehr. Eigentlich ist es belanglos geworden: es begeistert nicht, es regt nicht auf.
Thomas Albert hatte eine geniale Idee. Er sollte sie noch einmal überdenken. Der Anspruch der Überregionalität war schlagend, sein Musikfest hat einige Jahre lang gestrahlt – auch in ferne Welten. Da war es gut für Bremen. Heute droht es Teil der selbstzufriedenen Hansestadt zu werden.
AXEL BRÜGGEMANN

3 Kommentare:

  1. Ich sehe das anders. Das Musikfest ist eher weg von irgendwelchen Justus-Frantz-artigen Society-Promis; es hat sich mehr spezialisiert. Das nimmt ihm vielleicht etwas den gala-Effekt, gibt iohm für bestimmte Schwerpunkte aber auch mehr Tiefe. ich kann übrigens auch nicht sehen, dass das Musikfest früher mehr überregional ausgestrahlt hätte, es war immer respektiert, aber doch nie innovativ oder stilbildend und nahm immer eher die regionalen Aspekte auf (Alte Musik).

    Ich finde jedenfalls keinen Beleg für die im Beitrag aufgestellten Thesen - weil das Fest für mich auch in den 21 vorangegengenen Ausgaben nicht relevanter war als jetzt.

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  2. Ja, irgenwie ist der Wurm drin im Musikfest. Beispiel gestern Abend, o6.09.11: Glocke, Giulio Cesare in Egitto, G.F.Händel, konzertant, Accademia Bizantina, Ottavio Dantone. Die Glocke nur zu höchstens Zweidrittel gefüllt. Dann die anderthalbstündige erste Hälfte: Die bekannte Händelmusik passabel gespielt, durchschnittlich gute Stimmen (8 Rollen), sehr gute Countertenöre (kleine Farinellis), alles auf italienisch. Aber irgendwie alles auch unitalienisch: steif, fast sakral abgespielt und abgesungen, keine richtige Kommunikation zwischen Ausführenden und Publikum, irgendwie wie Weihnachtsoratorium. Natürlich auch wieder die unverzichtbaren Bravo- und Bravirufer - inzwischen sind sie personell identifiziert - und die Platzgeier, die heimlich auf allen Vierenvon hinten nach vorne schleichen, um bessere und teurere Plätze zu ergattern. Wir, meine Frau, die einen langen Arbeitstag hinter sich hatte, und ich (fauler Rentner), mit unseren 60-Euro-Karten wurden während der ersten Hälfte immer verkrampfter statt entspannter. Es kam, um es kurz zu sagen, keine konzertante Freude rüber, kein Ankommen der Musik, "kein Leben in der Bude". Irgendwie ein Gefühl von 2. oder 3.Liga - kann auch gut sein, dann aber nicht zu dem Preis. Endlich Pause. Kein Glas Wein unten in der Weinhalle, nein: ab nach Hause, es war genug gehändelt. Noch rechtzeitig zu Polen-Deutschland angekommen. War aber auch nicht 1.Liga, eher 2:2.

    Uli Pelz

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  3. Über Facebook erreichte uns folgender Kommentar von Volker Graaf: Teilweise stimme ich Ihrer Einschätzung zu, teilweise auch wiederum nicht. Klar ist meines Erachtens, dass das Musikfest zunehmend an Glanz verloren hat. Mittlerweile ist es öfter deutlich mehr Schein als Sein. Etwas Übertreibung gehört dazu, aber den eigenen Ansprüchen wird es zu oft nicht mehr gerecht. Dabei wird auch immer deutlicher, dass es an einem eindeutigen Profil fehlt, mit welchem das Festival überregional punkten könnte. Es ist ja nun nicht so, dass das Festival den großen überregionalen Glanz ausstrahlt, den man sich in Bremen gerne einredet und den man gerne haben würde. Das Musikfest ist durchaus beachtlich, aber eben eine regionale Veranstaltung. Bei der Analyse der Gründe teile ich Ihre Meinung aber nicht (bzw., dazu später, nur sehr bedingt). Es ist ein altes Bremer Dilemma, dass man sich nicht richtig entscheiden kann, ob man jetzt Fisch oder Fleisch sein will. Wer ein großes, bedeutendes Festival haben will, braucht Geld. Ohne öffentliche Mittel geht es nicht, nur bei ausreichender Grundfinanzierung wird man auch entsprechende private Sponsoren finden. Leider entscheidet man sich in Bremen dann immer für die bequeme Lösung: Ein bißchen kürzen hier, ein wenig beschneiden dort. Man hat gespart, tut aber weiterhin so, als ob man Spitze wäre. Es fehlt der Mut, sich eindeutig in die eine oder andere Richtung zu bekennen. Also entweder Musikfest ganz sein lassen oder auch entsprechend Geld in die Hand zu nehmen, um dann auch glänzen zu können. Leider gibt es nur selten den Versuch, mal ganz nach oben zu kommen. Eine Stadt wie Bremen kann es sich nicht leisten, in allen Gebieten mitzuspielen. Also müssen Prioritäten gesetzt werden. Es täte der Stadt gut, wenn sie auch mal aus ihrem Einheitsbrei herauskäme und an der einen oder anderen Stelle in der ersten Liga spielen würde. Das ist dann auch nicht gleich "Eventkultur", wie schnell geschrien wird, so etwas kann in Bremen durchaus wachsen. Schon der Organisator der Kulturhauptstadtbewerbung, Martin Heller, hat festgestellt, dass man in Bremen gerne allen ein wenig gibt, aber niemandem wirklich genug. Zur Beurteilung von Thomas Albert als Organisator fehlt mir schlicht das Hintergrundwissen. Allerdings hat er mit den zur Verfügung stehenden Mitteln durchaus erstaunliche Erfolge erzielt. Bremen mit seinen knappen Mitteln ist immer darauf angewiesen, Querköpfe anzuziehen, denen man viele Freiheiten gibt, bei denen es dann aber auch an mancher Stelle etwas hakt oder die nach einer gewissen Zeit woanders hingehen. Aus lokalpolitischer Sicht noch eine Anmerkung zur regionalen Ausrichtung des Musikfestes: Einerseits kann ich verstehen, dass man das Umland mit einbezieht, um ein Musikfest für die Region zu veranstalten. Wenn mittlerweile mehr als die Hälfte der Konzerte außerhalb der Landesgrenzen stattfinden, muss man sich allerdings nicht wundern, wenn der Hauptfinanzier, das Land Bremen, die Sinnhaftigkeit hinterfragt.

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