Freitag, 2. September 2011

Steuern für Bremen? - Macht keinen Spaß

Ein Kommentar zur Finanzlage aus Vorwahlkampfzeiten
Jetzt klagen sie also – Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, die Geberländer der Nation. Sie klagen nicht gegen das Geben an sich, das können sie ja auch nicht, weil es im Grundgesetz festgeschrieben ist. Aber sie sind gegen die Art des Gebens. Und – wenn ich ehrlich bin – kann ich ihre Wut selbst als glühender Bremen-Patriot verstehen: Warum, bitteschön, sparen die Geberländer freiwillig an Ecken und Kanten, an denen die Nehmerländer prassen wollen? Der kostenlose Kindergarten zum Beispiel: Baden-Württemberg lässt die Eltern zahlen, weil sonst der Haushalt gefährdet wäre – und denkt auch nicht daran, das zu ändern. Die bankrotten Länder Bremen und Berlin dagegen, würden die Kinderbetreuung gern umsonst anbieten! Ist das wirklich gerecht, wenn die Reichen sparen und die Armen prassen?
Machen wir es einmal persönlich: In keiner Stadt und in keinem Bundesland habe ich so ungern Steuern gezahlt wie in Bremen! Das fing schon an, als ich mich vor zwei Jahren in dieser Stadt als neuer Bürger gemeldet habe. Das zuständige Amt nennt sich zwar „Servicecenter“, aber in Wirklichkeit ist es eine Anti-Bürger-Trutzburg.

Ich hätte nicht erwartet, dass man mir den roten Teppich ausrollt, weil ich einer der wenigen Menschen bin, die freiwillig nach Bremen gezogen sind – und damit hier auch einen erheblichen Teil meiner Einnahme als Steuern abgebe. Aber ein bisschen Freude darüber, dass mein Geld nicht mehr nach Baden-Württemberg oder Berlin geht, hätte ich mir schon gewünscht. Vielleicht ein „Herzlich Willkommen, Herr Brüggemann, das ist aber schön, dass Sie zurück nach Bremen kommen.“

Stattdessen hat die Dame beim Meldeamt meine Akten angesehen, über ihre Brille geschaut und gezickt: „Ah, Ihre Tochter, die wohnt in Frankreich – also Kindergeld, das werden wir Ihnen nicht bezahlen.“ Ich habe es zunächst freundlich versucht: „Ich denke, schon, denn ich habe ja das Sorgerecht, und außerdem: Charlotte ist Deutsche, natürlich bekommt sie Kindergeld. Wer weiß, vielleicht wird sie irgendwann nach Bremen kommen und der Stadt nützlich sein.“ Darauf schaute die Servicekraft der Stadt noch einmal über ihre Brille und sagte: „Das werden wir ja noch mal sehen.“ Dann bin auch ich etwa zickiger geworden: „Ja, das können wir gern – wenn Sie sich eine Klage leisten wollen. Und ganz abgesehen davon: Irgendwann wird Charlotte wählen, ob sie Deutsche oder Französin sein will – wenn Deutschland sie schon jetzt im Stich lässt, warum sollte sie sich für dieses Land entscheiden? Dabei brauchen wir doch kluge Köpfe.“ Die Servicekraft antwortete: „Das spielt natürlich keine Rolle!“
Sollte es aber! Genau so, wie es eine Rolle spielen sollte, dass Bremen sich um jeden einzelnen Steuerzahler kümmert. Nur eine Stadt, die sich um ihre Bürger kümmert, kann sich gemeinsam mit ihren Bürgern entwickeln.
Vielleicht sollte ich grundsätzlich erklären: Ich zahle gern steuern, auch wenn die Abrechnungen meine Finanzplanung regelmäßig platzen lassen. Auf jeden Fall war das in Freiburg so, und in Berlin. Ich wusste, dass meine Steuern in Baden-Württemberg auch dafür sorgen, dass mein Kind in einen gut ausgestatteten Kindergarten kommt, dass ich mit meinem Auto durch den schönen Schwarzwald fahren kann, in Berlin wusste ich, dass meine Steuern mir die Möglichkeit geben, mich am Abend für die Berliner Philharmonie, das Schillertheater, die Deutsche Oper oder irgendeinen Jazz-Club zu entscheiden. Und noch etwas: Abgesehen davon, dass ich eine Steuerberaterin habe, die sich um meine Steuern kümmert, hatte ich überall nette Menschen vom Finanzamt am Telefon, wenn irgendein Problem aufgetreten ist: Leute, die mir geholfen haben, meine Steuern richtig abzuliefern, ohne mich über den Tisch zu ziehen.
In Bremen ist das anders. Dass ich mich beim Service-Center nicht wirklich als neuer Bürger willkommen geheißen fühlte, ist das eine. Das Andere ist, dass ich mich frage, wofür ich in dieser Stadt eigentlich Steuern zahle. Die Schulen sind in keinem Bundesland so schlecht wie hier – für Kinder, die nach Bremen ziehen, sind die Wartelisten der Elite-Einrichtungen wie des Alten Gymnasiums und des Hermann-Böse-Gymnasiums voll, und außerdem bin ich kein Freund der Bildungselite. Aber die „normalen“ Schulen in Bremen, an denen die Lehrer sicherlich ihr Bestes geben, werden durch eine Endlos-Schulreform mürbe gemacht. Warum, verdammt, soll ich für diese Anti-Bildung Steuern zahlen? Warum für ein System, das seit Jahren keinen Plan entwickelt, um das Schlusslicht-Image abzustreifen? Warum nicht einige Kilometer weiter nach Niedersachen ziehen, wo das Bildungssystem wenigstens nachvollziehbar ist?
Warum soll ich in Bremen Steuern zahlen, wenn im Winter auf der Straße vor meinem Haus nicht einmal der Schneepflug aufkreuzt, wenn ich nach dem Winter durch 1.000 Schlaglöcher in die Stadt fahre – und überhaupt: Wenn ich sehe, wie die Innenstadt durch geförderte Mall-Projekte in den Randbezirken totgespart wird und gleichzeitig in ein absurdes Projekt wie die Überseestadt investiert wird: in einen neuen Stadtteil, dessen Entwicklung schon jetzt den Charme eines pseudo-intellektuellen Viertels hat, das nicht gegen Hamburgs Hafenstadt, oder die Juppi-Meile von Berlin-Mitte anstänkern kann?
Warum zahle ich Steuern in einer Stadt, die immer etwas ganz Besonderes will, sich überhebt und Millionengräber öffnet: Spacepark, Musicaltheater und Co. Warum, verdammt, soll ich Steuern in einer Stadt zahlen, die ihr einst so stolzes Theater totspart?
Und, warum – und das ist das Schlimmste - habe ich den Eindruck, dass kein Politiker in Bremen – egal, ob in der Regierung oder in der Opposition - auch nur irgendeinen Plan hätte, diese Lage zu ändern?
Mit anderen Worten: Ich kann die Ministerpräsidenten der Geberländer vollkommen verstehen! Ich fühle mich genau so wie sie: Ich verdiene Geld, entwickle Geschäftsstrategien, muss sparen, haushalten und planen, um einen Teil meiner Gewinne an eine Stadt abzugeben, bei der ich nicht erkennen kann, was sie damit tut! Warum sollten die andere Bundesländer für uns zahlen, wenn wir nicht einmal die Anstalten machen, dass wir irgendetwas verändern wollen?
Ich höre immer wieder: „An Geld mangelt es in Bremen nicht. Es gibt hier so viele Millionäre.“ Ja, schon, aber was tun die denn? Die laden ihr Geld im Festspielhaus Baden-Baden ab, oder bei den Bayreuther Festspielen, oder auf der Ferieninsel Spiekeroog. Weil das mehr Prestige hat, als es in Bremen zu investieren. Und wenn sie mal einige Millionen in die Hand nehmen, und sie in die Kunsthalle stecken, kommen zwei Beton-Flügel heraus, die den architektonischen Charme eines Atombunkers haben!
Dass Bremen arm ist – dafür habe ich Verständnis. Die Stadt hat es schwer. Aber sie macht es sich auch leicht. Immer wieder die gleiche Leier: Wir sind ein Stadtstaat und leiden darunter, dass die Menschen ihre Steuern in Niedersachsen zahlen. Ja, genau! Weil die Leute lieber in Niedersachen wohnen, wo sie dort vernünftige Schulen haben und verstehen, wofür sie Steuern zahlen. Weil sie in Oldenburg wohnen, wo es eine Kneipen- und Kultuszene gibt. Weil sie in Achim wohnen, statt in den Bremer Randbezirken Mahndorf und Arbergen, die als Aldi-Speckgürtel von der Stadt vernachlässigt werden. Warum sollte man in Bremen wohnen? Und überhaupt: Hamburg – ebenfalls ein Stadtstaat – hat es geschafft, vom Nehmerland zum Geberland zu werden!
Ich habe im Weser-Kurier die Leserbriefe zu Thilo Sarrazins Buch gelesen. Viele wütende Bürger, die sich über Hartz IV-Empfänger aufregen. Dabei geht es den meisten wirklich schlecht, sie kämpfen um ihre Existenz. Aber wenn man es genau überlegt, ist ganz Bremen ein Hartz IV-Empfänger, und zwar einer, der sich zurücklehnt, sich toll findet, und keine erkennbaren Anstrengungen macht, wieder in Arbeit zu kommen.
Manchmal schaue ich Rach den Restauranttester. Bei ihm geht es nicht darum, den pleiten Etablissements ein Fünf-Sterne-Menü beizubringen, damit der Laden wieder läuft. Er schaut sich an, was besonders ist, entwickelt mit den Chefs eine Idee – schafft ein Ziel und viel Motivation. Dann packen sie alle an – und manchmal klappt das sogar.
Eigentlich bräuchte Bremen auch einen Rach! Einen, der ein Ziel hat, der sagt: Wir haben zwar keine Kohle, aber wir wollen dieses oder das schaffen. Etwas, das unserer Stadt entspricht: Wir wollen kluge Schulen. Oder: Wir setzen 100 Prozent auf die Wissenschaft. Oder: Wir wollen eine Kulturstadt werden. Oder: Wir werden ein Verkehrsknotenpunkt. Oder, oder, oder. Aber ich kann das nicht erkennen. Es gibt zwar einen Bürgermeister, aber was der will? Ich weiß es nicht! Und auch nicht, was die Kandidatin von der Konkurrenz-Partei will. Keiner legt einen visionären Plan vor, wie Bremen in den nächsten 10 Jahren vom Nehmer zum Geber werden kann. Und ich vermute, dass die Politiker gar nicht so unglücklich über die Situation der Stadt sind.
So ein Rach würde auch damit anfangen, seine Steuerzahler zu pflegen! Jedem neuen Bremer zu sagen: „Toll, das Sie hier sind – mit ihrem Geld können wir endlich unsere Stadt ein bisschen besser machen.“ Das ist das Einmal-Eins des Services. Das Festspielhaus in Baden-Baden ist nicht nur erfolgreich, weil es ein tolles Programm hat, sondern weil es sich als „beste Gastgeberin der Welt“ versteht: jeder Besucher bekommt eine Rose, jeder Kartenabreißer grüßt freundlich, und weiß, was auf dem Programm steht. Es macht einfach Spaß, hier ins Theater zu gehen. Aber Bremen nennt seine Meldestellen einfach in Serviceagenturen um und denkt, dass es nun eine einwohnerfreundliche Stadt sei! Nein, das ist sie nicht!
In den nächsten Wochen beginnt der Wahlkampf. So richtige Alternativen habe ich da noch nicht entdeckt. Vielleicht wäre es mal ein Anfang, wenn die Bremer Politiker uns erklären würden, was sie mit unseren Steuern eigentlich tun, was ihr Masterplan für die Stadt ist. Das würde übrigens auch helfen, die Geberländer davon zu überzeugen, dass es Bremens dringlichster Wunsch ist, nicht mehr nehmen zu müssen. Derzeit müssen wir mit dem Bild leben, dass uns das Nehmen eigentlich nichts ausmacht – wir haben unser Bundesland als Sozialhilfeempfänger eingerichtet, sind unsexy und pleite - und das ich nicht gut so!
AXEL BRÜGGEMANN

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