Der Papst in Deutschland
Der Papstbesucht in Deutschland war eine Reise der amüsanten Missverständnisse: Himmelskörper trifft Erdenbürger. Glaubensbekenntnis trifft Realpolitik. Ab Ende blieben vier Schüsse und ein Halleluja.
Berlin, Erfurt und Freiburg hatten sich herausgeputzt. Deutschlands Katholiken wollten feiern: 70.000 haben den Gottesdienst im Berliner Olympia-Stadium mit „Benedetto“-Rufen zum Happening verwandelt. Deutschland war mal wieder Papst!
Andere forderten Ernst statt Gaudi. Sie erwarteten vom Papst, dass er den katholischen Kosmos in seiner alten Heimat auf den Kopf stellt: Kindsmissbrauch, Homosexualität, Scheidung und Ökumene. Sie wollten Entschuldigungen statt Predigten, klare Worte statt schöner Gebete.
Und der Papst? Er kam, sprach und entschwand. Er wollte beweisen, dass Glauben Wissen ist. Dass Gott nicht im Bauch, sondern im Kopf entsteht. Seine Mission war eine Charme- Offensive. Benedikt XVI. kam als Heiliger Professor. Statt konkreter Antworten speiste er die Deutschen mit einigen Äpfeln vom vatikanischen Baum der Erkenntnis ab.
Es gibt Situationen in der Weltgeschichte, die so groß und so ernst sind, dass sie leicht ins Lustige kippen. Der Papst-Besuch erinnerte ein bisschen an einen Luis-De-Funès-Film: Jeder wollte alles richtig machen – und trat dennoch in allerhand heilige Fettnäpfchen. Der Papst zeigte den Menschen, wie klein sie im Angesicht seiner Kirche sind.
Statt dem Deutschen Bundespräsidenten (katholisch, geschieden, frisch verliebt und neu verheiratet) Antworten auf die Sündhaftigkeit der Trennung zu geben, lobte der Papst die „tiefen Worte“ des Staatsoberhauptes einfach weg. Benedikt ist der freundlichste Aus-dem-Weg-Geher, den Gott je erfunden hat. Was er nicht sehen will, verwandelt sich in Luft. Präsidenten-Frau Bettina, die sich extra aufgetakelt hatte, ignorierte er mit einem Lächeln – am nächsten Tag meldete sich die Politiker-Gattin krank.
Fast könnte man meinen, dass Benedikt XVI. vor seiner Rede im Bundestag absichtlich zum falschen Rednerpult schwebte und sich von Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zum richtigen Platz führen ließ. Der trat dem Heiligen Vater prompt auf die unbefleckte Soutane. Das deutsche Fußvolk geriet im Angesicht des Hirten ins Stolpern. Die Großmeister der Politik wurden zu aufgeregten Messdienern des katholischen Rituals.
Benedikt XVI. nahm die Politiker ins Gebet: Vernunft und die Natur seien wertlos, wenn sie zum Götzen des Staates werden. Reine Vernunft ist, wie in einem dunklen Hochhaus zu sitzen. Es sei Zeit die Fenster aufzureißen, nach draußen zu schauen und einander in die Herzen zu blicken. Der Papst argumentierte mit logischer Konsequenz des Glaubens gegen die Logik der Politik. Und die Politiker applaudierten.
Ein Grüner hatte während der Rede das Parlament verlassen und verpasste, wie Benedikt XVI. die ökologische Bewegung lobte – auch wenn er betonte, keinen Mitgliedsantrag für die Grünen stellen zu wollen. Selbst die Mitglieder der Linkspartei, die der Rede nicht aus Protest ferngeblieben waren, zückten am Ende ihre Handys und machten Bilder vom Heiligen Vater, um sie auf Facebook zu posten. Der Vatikan konnte zufrieden sein: „Yes, I like it!“
Erst als der Stellvertreter Christi auf Erden längst zum Mittagsschlaf verschwunden war, bemerkten die Politiker, was passiert war und kehrten zurück zur plappernden Tagespolitik: „Ich hätte mir gewünscht Fragen stellen zu dürfen“, sagte einer der Abgeordneten. „Wenn der Papst erklärt, dass man die Schöpfung annehmen soll – warum soll man dann nicht sein Schwulsein annehmen?“ Aber Benedikt kam nicht zur Fragestunde. Er präsentierte den Vatikan als Land des Lächelns und zeigte den Deutschen die Absurdität der Tagespolitik. Ein Polit-Profi, der es schafft, aus dem Glashaus mit Schaumstoffbällchen zu werfen.
Die Umarmung mit dem Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in der Lutherstadt Erfurt am nächsten Tag war so innig wie die von Ernie und Bert oder von Nikolas Sarkozy und Angela Merkel. „Ökumene?“, fragte der Papst - meinetwegen, lasst uns später darüber sprechen.
Auch als Benedikt in geflügelten roten Schuhen und gepanzerten Limousinen an Protest-Plakaten wie „Der Papst ist ein Kinderschänder“ zum Treffen mit Missbrauchsopfern reiste, ging er einem öffentlichen Bekenntnis aus dem Weg. Dass die Sicherheitsvorkehrungen des Papst-Besuches 30 Millionen Euro verschlangen und die Katholische Kirche gerade einmal zwei Millionen für die Entschädigung von Missbrauchs-Opfern aufwendet, versank im tagespolitischen Allerlei.
Immerhin funktionierte die Sicherheit: Ein Mann, der an der Eingangskontrolle zur Erfurter Messe vier Schüsse abgab, wurde überwältigt. Verletzt wurde niemand. Der Papst betete ungestört weiter.
Heute fliegt der Heilige Vater aus seiner alten Heimat Deutschland zurück in den Vatikan. In der All-Italia Maschine wird er vielleicht aus dem Fenster schauen. Gott wird ihm auf die Schulter klopfen. Und die beiden werden hinabschauen auf die ratlosen Deutschen – sie werden noch Wochenlang über die lächelnde Erscheinung in weiß debattieren.
AXEL BRÜGGEMANN
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