Dienstag, 1. November 2011

Ey, Schuer! Aufwachen!

Blattkritik
Liebe Jungs aus der Kultur — ich mag Euch. Aber mal ehrlich, wozu druckt Ihr eigentlich Kritiken über Konzerte? Wen interessieren die? Vielleicht die Handvoll Leute, die im Publikum saß. Und die Handvoll Musiker auf der Bühne. Das müsste so nicht sein. Schließlich steht Musik ja im Leben, hat etwas mit uns zu tun, mit unserem Blick auf die Welt, mit unseren Gefühlen und unseren Versuchen, Ordnung in die Dinge zu bringen. Warum steht darüber eigentlich nichts in den Kritiken? Dann wären sie vielleicht auch spannend für Menschen, die das Konzert nicht besucht haben. Dann würde das Feuilleton, das im Weser Kurier "Kultur" heißt, seiner Aufgabe gerecht werden — es würde helfen, die Welt zu ordnen.
Stattdessen scheint irgendwo in einer Ecke der Redaktionsräume ein Schächtelchen zu stehen, eine Schublade mit den beliebtesten Kritiker-Phrasen. Und ich vermute, sie steht unter Sigrid Schuers Schreibtisch. Heute hat sie sich wieder wunderbar daraus bedient, für ein Konzert der "musica viva". Und das liest sich dann so: "So klang das Harfensolo ... das Todtenhaupt mit bewundernswerter Fingerfertigkeit auffächerte, als sei es eine kostbare Kette aus Diamantklängen, wie aus einer anderen Welt. Von einem feinen, ätherisch fernen Klang, tiefgreifender Traurigkeit und Schönheit beseelt erklang Samuel Barbers kontemplatives Adagio ..., eine erstklassige Leistung der Streicher, die Barbers Adagio in großer Ruhe hauchzarte Töne von höchster Transparenz verliehen."
Ey, Schuer! Hallo! Aufwachen!!! Der geneigte Leser, der keinen Zettelkasten unter seinem Frühstückstisch hat, benötigt mindestens den Duden, um festzustellen, dass die Rezensentin in diesem gewunden-geschwungenen Satzgebilde eine Masse von Rien, ein Odeur de null, ein kontemplatives Vakuum der kognitiven Nichtigkeit zu Papier gebracht hat. 
Und nun wissen wir endlich doch, warum Kritiken in einer Zeitung stehen. Sie erfüllen nur einen Sinn: Der Rezensent bekommt Zeilen geschenkt, um seine ungemeine Klugheit unter Beweis zu stellen. Dass es niemanden interessiert — wen interessiert das schon? (AB)       

1 Kommentar:

  1. ...aus der Seele gesprochen. Diese Musik- und Konzertchirugie will doch kein Musikliebhaber mehr nachvollziehen. In den Tempeln der Klassik sitzen doch sowieso immer die gleichen Leute, wozu denen noch als Nachgebet erklären, was sie gehört oder falsch gehört haben. Für mich immer am erheitertsten: Die fast wissenschaftlichen Analysen der Donaueschinger Tage für Neue Musik von Herrn Professor Hartmut Lück, auch Frau Emigholz im nordwest tut sich da besonders hervor. Ich will für mich und für mein Musikgefühl selbst entscheiden, ob mir etwas gefallen hat oder nicht. Grüße Katharina Loewe

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